Jeannot Simmen

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Messiaen und Stockhausen - Musikalische Moderne

Konzerte am 6. und 21. September 2008, Philharmonie und Tempelhof

“Glückllich die Stadt, die solch einen Dirigenten wie Simon Rattle, solch ein Musikfest hat” (Süddeutsche Zeitung, 23.9.), solch hohes Lob ist durchaus angemessen. Was beim “musik fest berlin” von den Berliner Festspielen ‘gestemmt’ wurde, war herkulisch und höchst intellektuell. Der Balanceakt zwischen älterer und neuen Musik, zwischen der früheren und heutigen Avantgarde, kontrapunktisch gesetzt samt kluger Aufklärung. Grosses Lob dem Leiter vom “musik fest berlin”, Dr. Winnrich Hopp und dem mutigen Intendanten Dr. Joachim Sartorius. Wir danken.

Nach dem Schlusskonzert im Hangar 2 von Tempelhof, nach einem furiosen Wochenende mit Messiaens dunklem Ressurectionem-Tonbrausen, Stockhausens atemraubend-modernen “Gruppen für drei Orchester” (von 1959 !), da wussten wir: von einsamer Qualität, eine Aufführung von ingeniöser Qualität durch die Philharmoniker. Drei Orchester, unter der Leitung von Daniel Harding, Michael Boder und Sir Simon Rattle. Ohne den Chefdirigenten Sir Simon wäre solch ein radikales Vorgehen (weg von der repräsentativen Applaus-Kultur Westberlins) nicht möglich.

Mehr:
Musikfest Berlin 2008 – Abschlusskonzert im Hangar

Messiaen und Stockhausen - Musikalische Moderne
Sir Simon Rattle mit Entourage
beim Schluss-Empfang vom musik fest berlin am 21.9.08.

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Sammlung Roosen-Trinks / abc-Weekend

Bildende Kunst in Berlin ist das Schwarze Loch,  der kommunikative Blockbuster  ... vieles wird gezeigt im  Hoch glitzernder Galerieumsätze und dollarglänzender Künstler-Hoffnungen. Das erste Wochende im September bot eine Vielfalt, wir besuchten die private Kunstsammlung Roosen-Trinks und die abc-Präsentation im Postfuhramt am Gleichdreieck.

Berlin wirkt magnetisch, zuerst die Künstler, dann die Sammler. Berlin wurde die Citta aperta im 21. Jh. durch Brachflächen, günstigen Gewerbe-Immobilien und einem Sound des Nichtgebauten, Nichtzementierten, Nichtdurchdeklinierten. Berlin, die Stadt im Werden erfindet sich tagtäglich.

Präsentiert in einem Fabrik-Wohngebäude in Kreuzberg – zeigt sich die Sammlung in einem Loft auf farbig abgestimmten Wänden. Kuratiert und eingerichtet vom Galeristen Mehdi Chouakri wird Aktualität und was Besonderes möglich. Die Sammlung Roosen-Trinks vereinigt künstlerische Vielfalt und Aktualität samt  Persönlichkeit und Engagement. Neu in Berlin wurde die Hamburger-Sammlung zum abc-Weekend präsentiert von der charmanten Frau Ingrid Roosen-Trinks, Montblanc Kulturstiftung.

Das abc Wochennde, eine Galeristen-Messe ohne Kojen, Tischchen und wieselnde Galeristen wirkt frisch und zeigt die Kraft der Berliner Kunsthändler und das Potential der Künstler der globalen Kunst-Meltropole Berlin.

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Gesamtkunstwerk Weimar: Warum braucht Carl August einen Goethe von Stefan Hain

Dem Kunstfest Weimar und seiner Leiterin Nike Wagner ist der CLUB BEL ETAGE seit Jahren verbunden. Unser diesjähriger Tagesausflug zum Kunstfest gerät zum Clou: „Wozu braucht Carl August einen Goethe“ lautet das Thema eines Ausstellungsprojektes im Weimarer Schloss, einer genial eklektizistisch, enzyklopädischen Ausstellung höfischer Kulturpolitik.

Herbert Lachmayer verantwortete vor zwei Jahren die in ihrer facettenreichen Ausführlichkeit und Sinnlichkeit imponierende Wiener Mozart-Ausstellung und führt uns persönlich durch sein neues Gesamtkunstwerk: Historische Dokumente, Höfische Devotionalien, Büsten und Biographien vor einer extra für die Ausstellung erdachten bunten Tapete von Franz West mit den Bildnissen der Weimarer Fürsten und der in Weimar gehaltenen und archivierten Kulturgrößen. Der von Roy Lichtenstein gestaltete Teppichboden ist nicht ohne Ironie der Ausstellung in den klassizistischen Schlossräumen unterlegt.

Mit den rhetorisch brillanten, lustvoll-intelligenten Erläuterungen Lachmayers fügt sich dann alles aufs Sinnvollste zusammen: Das in der höfischen Kultur des 18. Jahrhunderts und dem kulturellen Repräsentationsbedürfnissen eben dieses Hoflebens die Entwicklung des bürgerlichen Individuums eine Wurzel findet und das verspätete Hofleben im 19 Jahrhundert seinen Ausgang in Archivierung und Dandytum nimmt, all diese Einsichten verdanken wir dem inspirierenden Vortrag Lachmayers.

Fulminant gelungen ist ihm auch diese Ausstellung in Weimar. Mehr davon!


Der kurfürstliche Thron, ironisch erhöht auf einem Spiegel-Sockel
und süffisant kommentiert von Herbert Lachmayer


Vom Feinsten: eine Kulturgeschichte-Ausstellung mit bunten Tupfen
und farbigen Streifen … Rokoko-Avantgarde … avant la lettre oder das vielfältig-verführerische Leben am Hof in Weimarer Abgeschiedenheit.

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KulturTermin: Ausstellung "Raffaels Grazie-Michelangelos Furor.

Sebastiano del Piombo” in der Gemäldegalerie am 14. Juli 2008
Führung durch die Sonder-Ausstellung mit dem Direktor Prof. Dr. Bernd Lindemann

Sebatiano ist der Schwermütige neben dem Berserker Michelangelo, dem pretiösen Porzellan-Figuren-Maler Raffael. War der ‘Siegel’-Bewahrer im Vatikan und Leidtragender 1527 beim Sacco die Roma, den Plünderungen und Zerstörungen des Vatikanstaates durch marodierende nordische Truppen. Melancholie als Antwort auf zerstörte Schönheit: Sebastiano del Piombo.

Über seinen Bilder liegt eine Dämmerung, ein grauer Schleier der Ergebung. Kein Zufall, dass  diese Bilder den nordisch-simplen Eindringlingen missfallen. Monumentalität und Schwermut, das verbindet Männliches mit Trauer und liegt fernab dem Heroischen, dem Soldatischen.

Eine grossartige Ausstellung wunderbarer Gemälde in angemessener Architektur, gesetzt in beste Beleuchtung. In Prof. Bernd Lindemann fanden wir einen pointierten und konzisen Erzähler durch diese Ausstellung.

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Kultur-Termin: Ausstellung "Lighter" von Wolfgang Tillmanns am 4. Juli 2008

Rundgang im Hamburger Bahnhof  mit dem Kurator Dr. Joachim Jäger

Die grosse Photographie-Ausstellung von Wolfgang Tillmans überrascht. Das was man bislang von ihm kennt (Szene-, Jungmänner-Aufnahmen) scheint passé. Der neue Tillmanns ist der poetische und experimentelle Sucher. Einer, der das Photopapier bearbeitet, einer der nicht nur mit dem Apparat die Aussenwelt präzise bannt wie die Bechers.

Das Umfeld wird beispielsweise Ellsworth Kelly und die malerische, gegenstandslose Nachkriegs-Moderne, da wird ein künstlerisches Potential erkannt und ingeniös weiterentwickelt. Kunst heisst: die Wirklichkeit neu sehen, nicht nur Realität punktgenau ablichten. Da wird Photographie zur Kunst, ist mehr als technisches Handwerk.

Gegen den trendigen Abbildungs-Realismus entwirft Wolfgang Tillmans monochrom farbiges Fotopapier, geknickt, vielleicht shaped. Eine Ausstellungs-Anordnung, die präzis und vielfältig  Wand und Raum bespielt, wo gross. klein, fern und nah komponiert werden und nicht nur gradlinig angeordnet.

Eine Ausstellung für Kenner: Photographie als formale Kunst! Ein grosses Dankeschön an den Kurator der Ausstellung, Dr. Joachim Jäger, für diese Ausstellung und seinen kundigen, interessanten Rundgang.

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