Jeannot Simmen: Coole Kunst // smarte Künstler
01.02.2008Berlin als Europas Kunst-Metropole ist einer der Schwerpunkte für den Club Bel Etage 2008.
Die Statements meines Vortrages beim Gabeln am 31.1.08: – 2007: War das Kunst-Blockbuster-Jahr. Nichts blieb im visuellen Gedächtnis hängen, ausser Ai Wei Weis Fenster-Türen- Turm-Desaster, den wir aus Abbildungen kennen. – Ausnahme: die nicht-aktuelle, nicht-zeitgeistige, doch wunderbare Ausstellung “ArtTempo” im Palazzo Fortuny, Venezia.
- Bescheidener 2008: Wir schweifen nicht in globale Gespinste, setzen ins Zentrum die Kunst-Metropole BERLIN.
- 1. Feststellung: Berlin kennt keine Kunsthalle (seit 15 Jahren!), aber viele solitäre Kunst-Insel (NBK, NGBK, Bethanien ….) und glamouröse Institutionen privater Hand: Guggenheim, Daimler Contemporary. und ein paar schlafende Kunst-Institute.
- Berlins Malaise: Der Moloch Berlin ist ein Vakuum, sowohl territorial, wie ideologisch nach dem Crash von West-Berlin als lichtes Schaufenster ins dunkle Ostwärts. – Berlins Chance: Das Raum-Vakuum die ideologische Leere: Berlin ist eine Stadt im Werden, eine Stadt, die stets wird. – Das ist die tiefere Ursache für Berlins Attraktion auf internationale Künstler, Kunst-Sammler, Kunst-Händler, Kunst-Enthusiasten.
- Eine Kunsthalle kann heute nicht zur Aufgabe haben, gute One Man Shows zu präsentieren // das machen heute die Kunst-Galerien (Jablonka mit Mike Kelley, Werner mit Markus Lüpertz, Contemporary mit Walter Pichler) mit Geld und Geist.
Was bietet die aktuelle Kunst / was die heutigen Künstler ??
Künstler müssen heute in guter Mixtur besehen aus:
1. Intelligent, cool und smart, nicht arrogant, sondern street smart.
2. Gebildet und aus Fleisch und Blut, nicht Silicon
3. Innovativ und mit starker Bühnen-Präsenz, gut aussehen, aber nicht wie der nette Schwiegersohn. – Drei Künstler wurden vorgestellt: Jeff Koons, Damien Hirst und Maurizio Cattelan.
Die Problemlage wird weiter disputiert: beim nächsten Gabeln, am Donnerstag, 21. Februar 2008.
Bei Interesse mail senden an: simmen@club-bel-etage.de

München powert !
23.01.2008Der Flughafen liegt weit draussen, Fahrt über das Land mit der Vorortsbahn. Im Bereich der Vestädterung, jenen Ausfransungen des Gebauten ins Grün der Natur, da spürt man den unbedingten Willen, die urbane Kraft von München. Es wird gebaut, neue Verwaltungsgebäude schneisen sich in die Landschaft.
Die ‘heimliche ‘Hauptstadt baut und baut, Hoch-Technologie in einem naturschönen Umfeld. Majestätisch sichtbar werden die Blauen Berge, die Alpen. Sonne und Föhn! Besser als Dauerregen und Pfützen wie in Berlin bei der Ankunft.
Viele neue Kunstorte: Ingvild Goetz, Pinakothek der Moderne, bald die Sammlung Brandhorst.
P.S. Wann wurde in Berlin das letzte Mal ein Ort für die moderne Kunst eröffnet ?? Warum schafft das München ?? Na gut: Die Flick-Sammlung im Hamburger Bahnhof.

München: Matthew Barney, Max Beckmann, Anish Kapoor und Parmigianino
23.01.2008Als Matthew BARNEY-Verehrer muss ich dahin: Ingvild Goetz zeigt Ihre Sammlung, zeigt privat im eigenen Museum, einem Bau von Herzog/Demeuron. Der Bau Innen top und kunstpräsentativ, Aussen vielleicht etwas in die Jahre gekommen, gealtert ohne …
Vorzüglich präsentiert werden alle CREMASTER-Filme (C.= mediz. Hodenheber). Vorführung auf mehreren Monitoren, die kreisförmig angeordnet, darunter Devotionalien der gefilmten Aktionen. Gleichzeitig können zwei Bildschirme beobachtet werden, man schaut mal konzentrierter auf den einen, dann den anderen. Attrahiert durch Barneys konsequente Auslotung des Sexuellen phantastischen Vorstellungen, samt Beharren auf einem! Im oberen Stock werden Zeichnungen, Fotografien ausgestellt, von subtiler Qualität, sensibel wie ein Joseph BEUYS, glücklicherweise ohne menschheitsbeglückende Nettigkeiten.
Max BECKMANN im Neubau von Stefan Braunfels hat es leicht nicht, die architektonische Anmutung ist von herber Nüchternheit. Beckmanns Bilder der Amsterdamer Exiljahre irritieren, fern von Deutschland lebt M.B. auf Zwischenstatiion zum Exil New York- Dennoch Heiterkeit und Melancholie. Stets alle Werke erstaunen: überraschend ‘frisch’, aktuell und nicht historisch-abgehangen. Mit trockener Ölfarbe wird eine glänzend-speckige Faktur vermieden. Erstaunlich dieser Titan Beckmann, er malt Bilder voller Leben und scheinbar unbeschwert, wohlwissend der dunklen Zeit und durchaus kritisch ohne in vordergründige, direkte Aufklärung und deutsch-deutliche Belehrung zu verfallen – wie viele damals politisierte Maler, deren Werke visuell verfallen. Beckmanns Grandezza ist die ferne Nähe zur Realität, Kunst als vielfache Konnotation, vermittelt durch Antike und Zirkuswelt. Viel Selbst-Gespräch, Erinnerung an meine Beckmann-Exegesen (siehe: www.club-bel-etage.de/books/26/B_Vertigo.jpg).
Anish KAPOOR (Haus der Kunst) enttäuscht. Die umfassende Retrospektive wirkt aufgeblasen. Alte Ideen riesengross, die Ergebnisse sind kinderamüsant: Zerrspiegel mit vielen Rundungen, Trome l’oeil-Effekte (bis auf die irritierende Wunde in der Wand). Die Räume überforderten den Künstler, einst Meister abgründiger visueller Persiflagen von Innen/Aussen.
PARMIGIANINO in der Alten Pinakothek lohnt weiteste Anfahrten. “Madonna” oder “Maria mit Kind und Mönch”, zeigen kleinformatig den ‘wiedergeborenen’ Raffael. Vom Feinsten: porzellanartige Figürchen mit makellos-glänzender Haut von zartester Marshmallow-Weichheit und Süsse und anschmiegender Wärme. Parmigianino (1503-1540) war der Meister im Paradigmawechsel zur Hochrenaissance. Er überinterpretiert sphärisch und hochätherisch. Manierismus, die unserer Zeit so nahe! Gelängte Figuren von anmutiger Liebe und zarter Schönheit. Ergänzt werden die Werke durch Papierarbeiten, Druckkunst aus der Sammlung vom Künstler Georg Baselitz. Respekt dem Sammler … Letztes Jahr überraschte er mit seiner Afrika-Sammlung !

Norbert Wollschläger: Mit dem Rücken zum Backstein
11.12.2007Der Andrang letzten Donnerstag war enorm. Im Kaisersaal herrschte Platzmangel. Die übliche Bankettbestuhlung musste abgeändert, Tische und Stühle hinzugestellt werden. Natürlich wollte man beim letzten “Gabeln“ im Jahr dabei sein. Zumal wegen des prominenten Referenten. Hans Kollhoff. Stararchitekt und Wertkonservativer. Ebenso gefeierter wie heftig kritisierter Architekt, der seine Aufmerksamkeit gerade dadurch bezieht, dass er sein Werk dem „Wettlauf der Aufmerksamkeit“, scheinbar entzieht.
Kollhoff baut klassisch (Naturstein und Ziegel). Seine Bauten verweigern sich dem Spektakulären, und zwar so, dass sie schon wieder Aufsehen erregen. Kollhoff denkt klassisch (Schinkels Bauakademie ist für ihn das innovativste Gebäude Berlins). Kollhoff provoziert. Alles Zeitgeistige ist ihm fremd. Daraus könne man Freizeitmode machen, aber keine ernsthafte Architektur. Und ohnehin sei der Kunst die Schönheit längst abhanden gekommen. Man konnte also gespannt sein auf einen intellektuellen Schlagabtausch, zumal die Zunft der Architekten bei diesem Gabeln gut vertreten war. Die der Schlossgegner auch.
Nach dem Hauptgang (Lachsschnitte im Kartoffel-Meerrettich- Mantel) griff Kollhoff zum Manuskript, hob zum Diskurs an und verlas die Botschaft. Wer aber Polemik, Streit oder intellektuelles Piesacken erwartet hatte, sah sich enttäuscht. Kollhoff nörgelte auf feine Art. Geradezu behutsam monierte er die „belanglosen Einfällen“ vieler Architekten, „die einer medialen Verwertungslogik entspringen, für einen Moment auch lustig, witzig, amüsant sein mögen, sich aber nie bündeln lassen oder verdichten auf etwas Dauerhaftes hin“. Da kritisierte einer im Stile des Anglikanischen Bischofs. Hart in der Sache, freundlich im Ton. Schwer, dagegen anzukommen. Trotz manchem Kopfschütteln und kritischer Gesichter an den Tischen drum herum nur wenig Widerspruch während der anschließenden Diskussion.
Soviel Harmonie im Kaisersaal war nie. Lag es an Kollhoffs Text (den man nachträglich gerne bekäme)? An der vorweihnachtlichen Stimmung? Etwas mehr Schärfe hätte ich mir schon gewünscht. (Übrigens bei der Lachskruste auch; ihr mangelte es an Meerrettich.)
Conclusio: Ein durchaus passender Abschluss eines guten Jahrganges interessanter, anregender und gut schmeckender Gabeleien.

Christoph Stoelzl: "Frau und Papagei" (August Macke)
27.11.2007Er ist ein genuiner Erzähler und intelligenter Unterhalter & Mehr ! Christoph Stoelzl (Villa Grisebach) erzählt ohne rhetorische Ticks und Tricks von einem Bild, das sich in der kommenden Auktion als Hauptwerk findet.
Mehr: http://www.villa-grisebach.de/de/kauf/aktuelle-highlights.html
Gemalt im August 1914 … dem europäischen Schicksalsjahr: Ein Paradies-Bild, entstanden in jenem Monat, wo der Erste Weltkrieg datiert, wo kurze Zeit später August Macke starb, gefallen im Krieg.
Geschichte real und Paradies imaginär – die Gegenpole jener Zeit. Was wäre aus diesem Maler geworden, der weder der Abstraktion sich verschrieb, noch dem Realismus. Der 1914 in Erinnerung an die Tunis-Reise mit Kandinsky die gelbe Farbe voll Licht und Sonnenklang favorisierte …
Dankeschön an Christoph Stoelzl von der Villa Grisebach, der die Mitglieder von Club Bel Etage einlud, dabeizusein samt Schmaus mit Häppchen & Wein danach.